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Überblick
Die wichtigsten Ausgrabungsbefunde
Der Palast B
Der Palast A
Die Tontafelfunde aus dem Palast A
Tuttul. Ausgrabungen in der Stadt des Gottes Dagan

Syrien, seit 1980

Blick von Norden auf Tall Bi'a mit dem Grabungshaus (links), dem sich auf der Ruine des antiken Nikephorion erstreckenden Vorort von Raqqa, Mišlab, dem Euphrat und der Flußterrasse am rechten Ufer.

Text Manfred Krebernik und Eva Strommenger

Unweit der syrischen Stadt Raqqa im Winkel zwischen dem Euphrat und dem Balikh liegt ein Tall Bi'a genannter Ruinenhügel beachtlicher Größe (ca. 650 x 750 m). Bereits 1974 hatte der belgische Assyriologe George Dossin auf Grund einer Tontafel aus Mari vorgeschlagen, ihn mit der Stadt Tuttul zu identifizieren.

Von Tuttul wußte man aus altakkadischen Königsinschriften, daß es der Hauptkultort des Gottes Dagan war, der im Alten Testament unter dem Namen Dagon als Gott der Philister bezeugt ist. Dagan nahm im nordmesopotamisch-syrischen Pantheon einen hohen - wenn nicht sogar dominierenden - Rang ein. Er wurde mit Enlil, dem Oberhaupt des mesopotamischen Pantheons, sowie mit dem hurritisehen Kumarbi und dem nordwestsemitischen El gleichgesetzt. Eine kürzlich in Aleppo gefundene Inschrift nennt ihn «Vater aller Götter». In Ugarit galt er als Vater des Wettergottes Ba'l-Hadad. Als Sargon von Akkad gegen Ende des 24. Jhs. v. Chr. einen Eroberungszug nach Syrien unternahm, betete er zu Dagan in Tuttul, der ihm daraufhin - so Sargons Inschrift - «das obere Land» einschließlich Maris und Eblas gab.

Schon die umfangreichen Archive des - vielleicht von S argon - zerstörten Palastes G von Ebla erwähnen Tuttul oft. Sie zeigen, daß der «Herr von Tuttul», das heißt Dagan, auch in Ebla verehrt wurde, und belegen Reisen des Königs von Ebla und hoher Würdenträger nach Tuttul, vermutlich zu kultischen Zwek-ken. Einen Herrscher von Tuttul nennen die Texte hingegen nicht; manches spricht dafür, daß Tuttul damals nicht Sitz eines selbständigen Königs war, sondern wohl unter der Oberherrschaft von Mari stand. Allerdings nennt sich der Stifter einer aus dem Kunsthandel stammenden Bronzeaxt, die etwa in diese Zeit datiert, «Jil'e-Lim, EN von Tuttul» und benutzt somit denselben Herrschertitel wie die Könige von Ebla.

Tuttul spielte aber auch noch mehr als ein halbes Jahrtausend später, in der Zeit, die durch die vielen tausend Tontafeln aus Mari gut bekannt ist, eine wichtige Rolle. König Jachdun-Lim von Mari (18. Jh. v. Chr.) berichtet, daß er eine von Aleppo unterstützte Koalition dreier Könige besiegt habe, unter ihnen BaTu-kul-lim, den «König von Tuttul und dem Land der Awnanum(-Nomaden)». In einer anderen Inschrift nennt Jachdun-Lim sich «König von Mari, Tuttul und Chana». Auch unter seinen Nachfolgern gehörte Tuttul zum Reich von Mari. Bald darauf aber fiel Mari in die Hände Schamschi-Adads, der sich zum Herrscher von Assur aufgeschwungen hatte. Er setzte seinen Sohn Jasmach-Adad als Mitregenten über den westlichen Teil des Reiches ein, zu dem Tuttul als Mittelpunkt eines Verwaltungsbezirkes gehörte. Mehr als zwanzig Jahre später gelang es Zimri-Lim, einem Sohn Jachdun-Lims, Mari zurückzugewinnen. Unter seiner Regierung war ein gewisser Lanasûm Gouverneur von Tuttul; aus seiner Korrespondenz haben sich in Mari zahlreiche Briefe erhalten. Dem Reiche Zimri-Lims bereitete nach etwa 15 Jahren Hammurabi von Babylon ein Ende, der Mari in seinem 32. Jahr eroberte.

Die Stadt Tuttul auszugraben, erschien aber nicht nur unter historischen, sondern auch unter archäologischen und grabungstechnischen Gesichtspunkten vielversprechend. Die Gestalt der Hügeloberfläche ließ die Funktionsbereiche einer hier verborgenen Stadt bereits vor der Ausgrabung deutlich erkennen. Die aufgelesenen Scherben und sonstigen Kleinfunde bezeugten eine intensive Besiedlung im 3. Jt. und in der 1. Hälfte des 2. Jts. v. Chr., die - gemeinsam mit der geographischen Lage des Ortes - interessante Aufschlüsse über die Beziehungen zwischen Südmesopotamien und Nordsyrien bis hin nach Anatolien in wichtigen Epochen wechselnder Abhängigkeiten versprach. Schließlich war die Ruine heute nahezu völlig unbesiedelt und auch aus den jüngeren Perioden des Altertums waren keine wesentlichen Überbauungen zu erkennen.

Als die syrische Antikenverwaltung der Autorin nach Abschluß ihrer Feldarbeiten in Habuba Kabïra ein neues Grabungsprojekt gemäß ihren Wünschen anbot, fiel daher - nach ausgiebiger Besichtigung zahlreicher Ruinen - die Entscheidung zugunsten von Tall Bïca. Problematisch erschienen uns jedoch Hunderte von Raublöchern, die manche Bereiche der Oberfläche völlig überzogen. Auch die Nähe der expandierenden Stadt Raqqa wurde als bedrohlich empfunden. Später erwies es sich dann zunehmend, daß wir mit der Entscheidung für Tall Bïca dieses wichtige Bodendenkmal vor einer modernen Nutzung und damit einer zumindest partiellen Zerstörung gerettet haben.

Die Arbeiten begannen - finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft - unter der Leitung der Autorin im Jahre 1980 mit einer Sondierung, der sich bis 1995 weitere elf Grabungskampagnen anschlössen. Zur Zeit werden die Ergebnisse veröffentlicht, ehe eine zweite Periode der Feldforschungen einsetzt. Diese kann sich dann gezielter einigen als besonders wichtig erkannten Bauten der Stadt Tuttul zuwenden. Die erste Projektphase war zur allgemeinen Orientierung mehr auf die Stadtstruktur insgesamt ausgerichtet. Die Vielfalt ihrer Ergebnisse entspricht diesem breiten Spektrum:

Es wurde festgestellt, daß die älteste Besiedlung an der Stelle der Stadt Tuttul bis in die Zeit um die Mitte des 4. Jts. v. Chr. zurückgeht. Allerdings sind aus jener Periode bisher nur wenige charakteristische Scherben an der Oberfläche aufgelesen worden. Die zugehörige Siedlungsschicht dürfte heutzutage tief im Grundwasser liegen und sich daher einer Erforschung entziehen.

Damals blühte im südmesopotamischen Sumer die mit dem Namen der Stadt Uruk verbundene älteste Schriftkultur, deren Einflüsse sich über das gesamte Zweistromland erstreckten und sich nach unserer gegenwärtigen Kenntnis am syrischen Euphrat besonders eindringlich in der Stadtanlage von Habuba Kabira-Süd manifestieren.

Im darauf folgenden «Frühdynastischen Zeitalter» des 3. Jts. v. Chr. erlebte Tuttul ebenso wie zahlreiche andere Städte Obermesopotamiens und Syriens einen beachtlichen Aufschwung. Jetzt und in der Folgezeit machten sich - in Übereinstimmung mit den politischen Veränderungen - wechselnde kulturelle Einflüsse bemerkbar. Die Stadt Tuttul verlor dann noch vor der Mitte des 2. Jts. ihre überregionale Bedeutung, ehe sie einige Jahrhunderte später gänzlich verlassen wurde.

Alle wichtigen Funktionsbereiche einer altorientalischen Stadt sind bisher ausschnittweise oder in kennzeichnenden Beispielen untersucht:

  1. Ein Tempel vom nord- und zentralsyrischen «Anten-Typ» (Abb. 162) im Westen dicht hinter der Stadtmauer nahe dem westlichen Tor inmitten eines Wohnviertels (s. hierzu ähnliche Bauwerke aus Habüba Kabïra-Tall S. 113 und Tall Munbāqa S. 118).
  2. Das Hauptheiligtum des berühmten Gottes Dagan von Tuttul im östlichen Bereich des Zentralhügels (Gebiet F auf Abb. 161). Es wurde mittels einer Oberflächenschürfung in seiner Position erkannt. Die dort ermittelten großräumigen und sehr starken Mauerzüge lassen sich am ehesten ebenfalls zu einem «Anten-Tempel» ergänzen. Seine Freilegung wäre eine der vordringlichen Aufgaben der geplanten zweiten Phase der Feldforschungen.
  3. Eine Abfolge von Palästen auf dem Zentralhügel der Stadt, deren unterschiedliche Bautypen die wechselnden kulturellen und politischen Einflüsse sehr deutlich widerspiegeln.Auch von ihrer weiteren Erforschung sind außerordentlich interessante Aufschlüsse zu erwarten.
  4. Zentrale Wirtschaftsanlagen auf dem Zentralhügel zum einen aus der Zeit des Schamschi-Adad, zum anderen aus der Akkade-Zeit. Im erstgenannten Fall handelt es sich um die Umwidmung eines repräsentativen Palastes zu einem Verwaltungs- und Produktionsgebäude, in dem auch Tontafelurkunden und gesiegelte Ton ver Schlüsse gefunden wurden.
  5. Die Stadtmauern aus Lehmziegeln, die durch mehrere Schnitte untersucht wurden. Die ältere Befestigung war 8 m breit und im Westen mit einem Tor versehen, dessen Durchgang von zwei 12 m tiefen Türmen flankiert war.
  6. Wohnhäuser aus allen angegrabenen Schichten der Stadt und mit entsprechend wechselnden Grundrißtypen.
  7. Bestattungen der Bürger unterschiedlicher sozialer Schichten in Wohnhäusern und auf Freiräumen der Wohnquartiere sowie in einem Friedhof außerhalb der Stadt.
  8. Grabbauten der Herrscher von Tuttul aus der 1. Hälfte des 3. Jts. v.Chr., bestehend aus oberirdischen Lehmziegelbauten von einem bisher einzigartigen Typ. Sie standen offensichtlich in enger Verbindung mit einem zeitgenössischen Palastbau, der durch die Grabungen allerdings noch nicht erreicht wurde. Ihr Inventar (Abb. 165. 166) zeugt von einem beachtlichen Reichtum der Herrscherschicht, auch wenn es nicht die Qualität und Menge der Preziosen aus den etwa gleichzeitigen sogenannten «Königsgräbern» von Ur erreicht.
    Nach dem Ende der Stadt Tuttul lag ihr Gelände über eine lange Zeit unbewohnt, ehe es in hellenistischer Zeit stellenweise als Friedhof der nahen Stadt Callinicum verwendet und schließlich auf dem Zentralhügel von einem byzantinischen Kloster bekrönt wurde. Seine Kirche bildete damals eine von weitem erkennbare Landmarke und gab Anlaß zum heutigen Namen des Ruinengeländes, denn «Tall Bi'a» heißt auf Arabisch «Kirchenhügel».
     

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